von Vico Luckschus
Innenstädte, insbesondere die Einkaufsstraßen in den Zentren der Stadt, standen bereits vor der COVID-Krise vor großen Herausforderungen. Frequenzrückgang, wenig Aufenthaltsdauer und ein Strukturwandel in Handel und Gastronomie sind überall in Innenstädten erkennbar. Betroffen ist vor allem der stationäre Handel, da sich das Kaufverhalten in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch den Onlinehandel, stark verändert hat. Diese Krise des Einzelhandels hat einen großen Einfluss auf die heutigen Innenstädte, die vom Handel vielerorts regelrecht dominiert werden. Diese Dominanz stellt nun ganze Stadtzentren vor eine Identitätskrise, denn das bisher funktionierende Modell der „Shopping-City“ gerät nun akut ins Wanken und es ist Zeit neue Wege zu finden, um Attraktivität und Vitalität zu schaffen.
Die COVID-Krise hat diese Situation des stationären Einzelhandels weiter verschärft. Man kann fast schon sagen, dass die Pandemie für den Handel ein regelrechter Brandbeschleuniger ist. Der Online-Handel boomt mehr denn je – Zalando und Amazon machen Rekordumsätze, Einzelhändler:innen, Filialist:innen und große Einzelhandelsketten und Einkaufszentren geraten immer mehr unter Druck.
Lockdown als Chance sehen
Lösungen folgen meist dem Motto: „Weg von Verkauf hin zu mehr Eventisierung und Erlebnis, individueller Beratungskompetenz sowie der Optimierung der Aufenthaltsqualität in Stores.“
Hier gibt es bereits zukunftsfähige und attraktive Konzepte wie etwa den Flagship-Store von Samsung, dem „Samsung 837“ in New York. In diesem Konzept geht es nicht darum Produkte zu verkaufen, sondern vielmehr der Community einen lokalen Treffpunkt zu bieten. Einen Treffpunkt, welcher durch spannende Events und Produkterlebnisse laufend Anziehungskraft entfaltet. Dieses Konzept ist durchaus erfolgreich und dient mittlerweile vielen Retail- und Markenexpert:innen als Vorbild.
Allerdings greifen diese Maßnahmen und Impulse meiner Meinung nach für Innenstädte zu kurz und sind eher Leuchttürme neben dem immer einfallsloseren und austauschbaren Mainstream in den Stadtzentren. Wir brauchen Lösungen für die strukturellen Probleme vieler Innenstädte, die jetzt und auch in Zukunft unter der Dominanz des Einzelhandel und der Abkopplung der Stadtgemeinschaft leiden. Daher sollten wir die Entschleunigung, die uns der Lockdown beschert, als Chance nutzen, um ein paar Schritte weiterzudenken. Denn damit vitale und zukunftsfähige Städte entstehen, braucht es einen konzeptionellen Befreiungsschlag von alten Innenstadtmodellen.
Zielsetzung für Innenstädte von Morgen sollten nachhaltige und hybride Modelle sein, die ein Gleichgewicht der öffentlich-relevanten Nutzungen vorsehen. Diese Nutzungen lassen sich in fünf Cluster einordnen – Wohnen, Arbeiten, Freiraum/Kultur, Repräsentation/Mitbestimmung und Handel/Versorgungen. Hier besteht die Herausforderung darin, die relevante Nutzungsmischung aus der Identität und den Bedürfnissen der Menschen herzuleiten und in Konzepte für die gesamte Innenstadt zu übersetzen.
Pionierarbeit in Offenbach
Ein interessantes Stadtentwicklungsprogramm, welches derzeit für diesen Ansatz Pionierarbeit leistet, ist das Zukunftskonzept der Stadt Offenbach am Main. Hier haben die EntscheiderInnen der Stadt gemeinsam mit dem Hamburger Büro „urbanista“ eine Zukunftsvision für der Innenstadt entwickelt. Sie haben sich zum Ziel gesetzt eine „POST-Shopping City“ zu entwerfen, die eine (Neu-)Kopplung der Stadt zu ihren Einwohner:innen schafft und nachhaltig Relevanz verspricht. Beispielweise werden hier Initiativen angestoßen, wie eine „Testraum- Allee“ für lokale Jungunternehmen oder das „Kaufhaus Kosmopolis“, wo Kunden regionale Produkte, Kantine und Kulturhub unter einem Dach erleben. Diese Konzepte orientieren sich an den lokalen Bedürfnissen der Menschen und folgen dem nachhaltigen Ziel die Innenstädte durch diverse Nutzung attraktiver und, lokal-relevanter und vitaler zu gestalten. Es bleibt abzuwarten, ob jede Maßnahme dieses Konzeptes wirklich dazu beiträgt.
Entscheidend ist, dass für die Gestaltung einer vitalen Innenstadt Offenbachs ein Masterplan erstellt wurde, der die Identität des Ortes versteht und eine relevante Mischung aus attraktiven Nutzungen für die Offenbacher zusammenführt. Dies schafft die Grundlage für eine neues attraktives Versprechen, ein neues Narrativ und neue Rolle der Innenstadt.
Anpacken und Chancen nutzen
Zum Einen müssen Innenstädte sich ihrer neuen Rolle innerhalb der Stadtgemeinschaft klar werden und es schaffen „neue“ Narrative und ein lokal-relevantes Versprechen zu geben. Zum Anderen gilt es, die richtigen Stellschrauben zu identifizieren und anzupacken, um Initiativen auch die richtige Durchschlagskraft zu geben und sie so zu realisieren.
Eine dieser wichtigen Stellschrauben zur Entwicklung relevanter Nutzungen in Innenstädten ist die Zusammenarbeit zwischen allen Stakeholdern (d.h. Anwohner:innen, lokale Händler:innen, Vereine etc.), Verwaltung und Entscheider:innen in den Stadtentwicklungsprogrammen. Hier sollten verschiedene Partizipationsformate (z.B. Initiative „Beweg Dein Quartier“ in Essen) standardisiert und in die Prozessschritte eingebunden werden. Auch das Management bestehender Mieter- und Angebotsstrukturen braucht neue Rahmenbedingungen und sollte einen Weg der Selbstbestimmung, Initiative und Selbstverwaltung der Innenstädte einschlagen (durch z.B. die Schaffung eines Business Improvement Districts). Hier könnten auch lokale Initiativen mehr Unterstützung finden, d.h. finanzielle Förderprogramme, neue Finanzierungsmodelle und Mentorships wären denkbar, um die Vielfalt der Stadt auch in die Innenstädte zu bringen.
Des Weiteren müssen Innenstädte heutige Trends in den Nutzungsclustern – Wohnen, Arbeiten, Freiraum/Kultur, Repräsentation/Mitbestimmung und Handel/Versorgungen – als Gelegenheit begreifen. Hier lassen sich eine ganze Bandbreite an Initiativen starten, die Innenstädte zukünftig vitaler und attraktiver machen – wir müssen sie bloß nutzen.
Letztlich stellen diese Gedanken lediglich ein erstes Blitzlicht der Möglichkeiten für Innenstädte von Morgen dar. Jetzt heißt es weiterdenken, anpacken und die richtigen Leute an einen Tisch zu bekommen, um wirklich nachhaltig die eigene Innenstadt zukunftsfähig zu machen.
Quellen:
- https://www.ifhkoeln.de/vitale-innenstaedte-wie-nach-corona-lokal-revitalisiert-werden-muss/
- https://www.offenbach.de//leben-in-of/planen-bauen-wohnen/Zukunft_Innenstadt_/subrubrik-zukunft-innenstadt.php
- https://maptionnaire.com/
- https://bewegdeinquartier.de/
Vico Luckschus ist Strategieberater bei VORN Strategy Consulting. Gemeinsam mit seinen Kolleg:innen – Markenexpert:innen, Zukunftsforscher:innen, Business Development-Expert:innen und Data Nerds – beschäftigt Vico sich mit Zukunftsstrategien für Marken. Er bezeichent sich selbst als Urbanist und hat in den vergangenen Jahren verschiedene Stadtentwicklungsprogramme beraten. Unter anderem in Berlin, Hamburg und Wien.