
Raus aus dem Sea of Sameness: Warum Storytelling der Schlüssel im Social-Kosmos ist – und nicht nur KI
MEEDIA-Gastbeitrag von Jonathan Goutkin
von Laura Schlotthauer
Lange konnten wir es uns nicht vorstellen. Dass unser Leben, die Grundsätze, auf denen es beruht, unser Alltag einmal anders sein könnten: fremdbestimmt, sorgenerfüllt ja sogar angstgetrieben. Lange wussten wir nicht wie besonders die Sorglosigkeit ist, wie besonders es ist jeden Tag zu wissen, dass alles seinen gewohnten Gang geht. Und dann kam Corona und stellte unser Leben auf den Kopf.
In ihrer Absolutheit und Dringlichkeit veränderte die Pandemie Dinge im Schnelltempo. Auch uns als Branche hat die Pandemie nachhaltig aufgerüttelt. Die Digitalisierung ist durch remote work einen guten Schritt vorangekommen. Präsenzkultur und Kontrolle durch Vorgesetzte scheinen plötzlich von gestern. Aber ist dieser Wandel tatsächlich nachhaltig? Sind wir wirklich bereit, unsere Arbeit anders zu denken? Oder fallen wir, sobald die Corona-Krise abklingt, wieder zurück in alte Muster?
Die Pandemie hat zu einer Rückbesinnung auf das Wichtigste geführt: Wir befinden uns in einem Wertewandel, in dem Gesundheit, Sicherheit, Solidarität und der soziale Zusammenhalt wieder mehr im Mittelpunkt stehen. Die Ausrichtung des Lebens an individualistisch-egoistischen Zielen wird zusätzlich zur Corona-Krise durch die Dringlichkeiten der Klimakrise mehr und mehr infrage gestellt. Wie wir sehen, führt dies zu zahlreichen Konflikten: zwischen Individualisten und Gemeinwohl-orientierten, Idealisten und Pragmatikern, zwischen jenen, die Einschränkungen fordern, und jenen, die weiterhin den Individualismus als höchste Maßgabe ansehen. Fest steht: eine Mehrheit der Bevölkerung will nicht zurück zur „alten“ Normalität. [1]
Die Frage ist, wie wir diesen gewünschten „New Normal“-Zustand nach der Krise wirklich nachhaltig gestalten. Denn egal ob es um die unabsehbaren Folgen der Pandemie, die Klimakrise, den strukturellen Rassismus oder die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt geht – der Druck als Akteur der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen, wächst. Die Zeiten des „Purpose-Washing“ sind vorbei.
Das ist nicht neu. Wirkungsvolle Kommunikation ohne eine verantwortungsvolle Haltung war schon immer eine Illusion. Und dennoch haben wir lange so getan, als würde ein bißchen „Hier&Da“, den enormen Anforderungen genügen. Ganz schön naiv. Die aktuelle Havas „Meaningful brands“ Studie[2] zeigt einmal mehr die gestiegenen inhaltlichen und ja: auch moralischen Anforderungen an Kommunikation. Bereits heute erwarten 75% der deutschen Konsument:innen, dass sich Marken aktiv an Lösungen für soziale und ökologische Probleme beteiligen und eine klare Haltung einnehmen. In der Corona-Krise scheint das den meistens Marken nicht gelungen zu sein. Laut der Studie ist das Markenvertrauen auf einem historischen Tiefpunkt angekommen. Das liegt an unerfüllten Erwartungen, an uneingelösten Versprechen der Marken, die bisher über Lippenbekenntnisse zum kollektiven und gesellschaftlichen Wandel nicht wirklich hinauskommen.
Im Kern geht es darum, den Wandel wirklich ernst zu nehmen. Seine Tragweite und Relevanz zu verstehen, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen, den kulturell-gewachsenen Habitus abzulegen und das Neue zuzulassen. Neue Arbeitsstrukturen, rollenbasierte Verantwortung, nachhaltige Business-Werte all das was sich unter der Oberfläche schon seit Jahren manifestiert, scheint nun auszubrechen. Die Corona-Krise hat dies für unsere Kund:innen und uns als Branche nur noch einmal stärker in den Vordergrund gerückt.
In den USA performen derzeit solche Unternehmen in der Gunst der Konsument:innen, die eine klare politische Agenda haben, egal ob rechts oder links.[3] Angeführt wird die Liste von Patagonia. Der Outdoor-Spezialist ist seit Jahren bekannt für sein (umwelt-)politisches Engagement. Aber auch diverse konservative Marken haben durch eine klare Positionierung im gesellschaftspolitischen Umfeld ihr Ansehen steigern können.
Das zeigt: Purpose ist kein Marketinginstrument. Nur wer Werte in den Mittelpunkt seiner Unternehmensstrategie stellt, kann darauf hoffen, dass echte Haltung nachhaltige Marketingeffekte schafft.
Ein weiteres Beispiel: die Agentur David Miami. Sie hat daraus sogar ein eigenes Business-Modell entwickelt: „Hackvertising“. So nennen sie das gezielte Kapern von gesellschaftlich relevanten Themen für die Kommunikation ihrer Kund:innen. Das hat bisher sehr gut geklappt. Der letzte Scoop für Burger King am Weltfrauentag ging aber nach hinten los. Zu spät hatten die Werber:innen die provokante Headline „Women belong in the kitchen“ in der Folgekommunikation aufgelöst. Das eigentliche Ziel der Kampagne auf das Missverhältnis der Geschlechter in der Restaurantbranche aufmerksam zu machen (nur 20% der Köch:innen sind weiblich) und die kulinarische Karriere von Frauen zu fördern, trat angesichts der empörten Reaktionen vollkommen in den Hintergrund. [4] Das zeigt: Sich einmischen ist gut – auch und gerade in Debatten, die wenig verzeihen. Aber Haltung zeigen braucht Mut und solide Exekution.
Unternehmen und Marken müssen also beweisen, dass sie bereit sind, echte gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Sprich den Wertewandel sinnstiftend und inklusiv zu begleiten. Wie das gelingt? Indem wir unser Handeln ganz klar an Werten wie Nachhaltigkeit, Inklusion und Transparenz ausrichten. Es gibt aktuell genug Anlässe und Themen, denen durch intelligente Kommunikation und Budgets zu mehr Aufmerksamkeit verholfen werden kann. In Bildung, Gesundheit und Kultur hat die Pandemie unvorstellbare Mängel und Potenziale aufgedeckt – wer jetzt mit Engagement und Kreativität in die Lösung dieser gesellschaftlichen Herausforderungen einsteigt, kann sich nachhaltig als Treiber von Veränderung positionieren.
Neben dem bloßen Schaffen von Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Themen, spielt die eigene Authentizität in der Kommunikation eine besondere Rolle, wenn Verantwortung gezeigt werden will. Glaubwürdigkeit entsteht nicht, wenn alles auf Hochglanz poliert wird. Das gilt sowohl in der Kommunikation für unsere Kund:innen, als auch in der Führung unserer Unternehmen. In und nach der Krise wird der verantwortungsvolle Umgang miteinander, mit Zielgruppen, Kund:innen und Mitarbeitenden der entscheidende Erfolgsfaktor sein.
Lasst uns also konkret werden: Wir bei ressourcenmangel haben schon weit vor der Krise daran gearbeitet, unsere Unternehmenskultur immer weiter in Richtung einer werte- und vertrauensbasierten Zusammenarbeit zu entwickeln. Für uns gehören mobiles Arbeiten, individualisierte Arbeitszeitmodelle, respektvoller Umgang und die gezielte Förderung von Minderheiten zu den Grundpfeilern unseres Selbstverständnisses. Konzepte wie „Work-Life-Balance“ und Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind für uns die grundsätzlichen Rahmenbedingungen, in denen wir unsere Arbeit organisieren. Nicht ohne Grund gibt es in der ressourcenmangel-Gruppe unter acht Geschäftsführer:innen fünf Frauen. Diese Kultur hat sich in der Krise als resilient erwiesen. Weil sie menschliche Verbindungen stärkt, Loyalität fördert und Glaubwürdigkeit nach außen schafft. Trotzdem gibt es auch für uns immer noch viele Gründe, unzufrieden zu sein: Weil neue Herausforderungen dazukommen und wir an den eigenen Ansprüchen auch immer wieder scheitern.
Die Zeiten der Sorglosigkeit sind vorbei und trauern bringt nichts. Ich wünsche mir, dass wir das Potenzial der Krise nutzen und als Kommunikator:innen wirklich vorangehen, gemeinsam mit unseren Kund:innen und Mitarbeitenden. Unsere Kommunikation und unser Handeln entlang der wichtigsten Werte neu denken. Das fände ich mutig.
Laura Schlotthauer ist seit März 2019 Geschäftsführerin von ressourcenmangel an der Panke. Anfang 2017 stieg sie bei der Berliner Agentur als Leiterin des Beratungs-Bereiches ein. Davor war sie unter anderem bei Ketchum Pleon und Scholz & Friends tätig.
Dieser Artikel von Laura ist zuerst in der new business 24/2021 erschienen.
Quellen:
[1] Dr. El-Menouar, Yasemin (2021): Zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohl. Sieben Wertemilieus und ihre Sicht auf Corona, BertelsmannStiftung Publikation (bertelsmann-stiftung.de)
[2] Markenvertrauen sinkt auf historischen Tiefstand | W&V (wuv.de)
[3] Americans embrace partisan brands like Patagonia, Chick-fil-A – Axios
[4] ‘Women Belong In The Kitchen’: Burger King’s International Women’s Day Tweet Goes Down In Flames (forbes.com)
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