von Marcel Loko
Mit der wunderbaren Cornelia Kunze durfte ich für ihr aktuelles Buch über meine Erfahrungen mit Agentur-Kunde-Beziehungen sprechen. Dabei ging es vor allem darum, welche Rolle Mut in diesem Kontext spielt, wann eine Idee relevant ist und welche Bedeutung Kreativität hat. Folgende Punkte stehen für mich dabei im Fokus:
Oft sagen Kunden „Bringen Sie die mutigen Ideen, vorsichtig sind wir selber.“ Das ist richtig so. Wer nicht mutig ist, wird beim Kunden kreativ nicht ernst genommen. Aber: Mut darf nicht mit Starrsinn verwechselt werden. Nicht jede Idee passt, es bringt nichts, Kunden tagelang Mut einzureden, um die eigene Idee durchzubringen. Das wird nicht erfolgreich sein. Denn egal wie gut man zuhört und wie tief man drin ist, am Ende sind wir „nur“ beratend tätig. Die Entscheidung und Verantwortung tragen die Auftraggebenden.
Ein Beispiel: Vor zehn Jahren haben wir eine Messe betreut. Eine Idee war, die Vor-Ort-Messe komplett abschaffen und in den digitalen Raum gehen. Die Reaktion des Kunden: „Das meint Ihr jetzt nicht ernst?!“ Natürlich war das visionär, aber die Idee hätte den damaligen wirtschaftlichen Erfolg zerstört, weil die Messe auch mit nicht nachhaltigen Modellen kurzfristig Geld verdient hat. Die Lösung wäre gewesen, aus der revolutionären Idee heraus einen parallelen, digitalen Weg aufzubauen.
Grundsätzlich gilt hier: Sprecht miteinander. Offen und ehrlich. Wenn Kunden mehr oder weniger Auffälligkeit, mehr oder weniger Disruption wünschen, dann sollen sie es sagen. Es hilft uns als Agentur mehr, wenn dieses Feedback frühzeitig im Prozess kommt. Wir haben heute alle keine Zeit mehr, aus Höflichkeit oder Feigheit endlose Runden zu drehen.
Was heute „zu mutig“ ist, muss es nicht bleiben. Corona hat uns zum Beispiel alle zu mutigen und oft kreativen Entscheidungen gezwungen. Auf einmal hat das schicke Restaurant nebenan, quasi über Nacht, auch „to go“-Menüs angeboten. Vor der Pandemie wäre das undenkbar gewesen. Mit ähnlichen Dimensionen von Veränderung sehen sich viele Unternehmen konfrontiert. Und die Dinge ändern sich heute einfach viel schneller als früher. Nicht nur durch Corona.
Auch die sozialen Medien sind ein Treiber für mutigere Kommunikation. Die Menschen sind mehr gewohnt. Mehr Humor, rustikalere Sprache, mehr Offenheit und Toleranz gegenüber Neuem. Trotzdem kann man sich auch heute überall in die Nesseln setzen und muss die Fallstricke im Auge behalten. Das ist ein täglicher Balanceakt: Stehen wir dazu? Stehen wir das durch? Oder kann es uns den Kopf kosten? Dazu brauchen wir Menschen, die tief genug im soziokulturellen Kontext drin sind und das bewerten können und auch dürfen.
Dazu kommt, dass wir – die Öffentlichkeit – heute sensibler reagieren. Beispiel Volkswagen (Petit Colon): Bei diesem Rassismusskandal habe ich selbst – und ich bin sicher persönlich besonders sensibilisiert – keine Intention gesehen. Aber: Man kann es falsch verstehen. Und woran liegt das? Von solchen Videoschnipseln werden 150 produziert, innerhalb von sieben Tagen. Da sitzt wer im Schnittstudio und schneidet zusammen und denkt sich nichts dabei. Wer schaut sich danach das alles an und kuratiert das? Wer hat dafür die Zeit und wird auch vom Kunden dafür bezahlt, das in einem soziokulturellen Kontext zu bewerten? Da geht der Schuss eben auch mal nach hinten los.
Viele Branchenkolleg:innen beziehen ihren Anspruch an Ideen immer sehr eng auf das eine lineare Produkt, einen tollen Fernsehspot oder eine tolle kreative Leitidee. Auch die Kunden sind es gewohnt, genau das zu kaufen. Aber: Wo sind die neuen Ideen für Prozesse? Wie setze ich etwas um, damit ein Ziel erreicht wird? Nur weil es immer so war, ist es doch nicht gut.
Früher haben wir in der Tat eine Idee verkauft – und drei Monate später wieder eine Idee. Inzwischen verkaufe ich ein System, wie ich z. B. jeden Tag 70 gute Ideen produziere. Das ist auch der Anspruch, den viele Kunden jetzt haben. Die brauchen eine Agentur, die in der Lage ist, 150 handwerklich anständige Ideen, z. B. Instagram-Filmchen, in der Woche zu entwickeln und zu produzieren. Wir reden über zehn, fünfzehn Sekunden, die ich in einem Baukastensystem zusammenschneide. Keine Top-Kreation, mit großartigen Regisseur:innen und Schauspieler:innen. Es geht teilweise einfach nur darum, dass die Seite etwas umgebaut wird, dass da ein Motiv ersetzt wird, ein neues Schlagwort eingeführt wird. Aber trotzdem: 70 kreative Einfälle jede Woche.
Tiktok ist ein gutes Beispiel für diese digitalen kreativen Produkte. Man kann Schnittfolgen einstellen, sogar die Musik wird angeboten, sodass man ganz schnell zu einem Produkt kommt. Man füttert die Maschine, mit 200 kreativen Assets, und der Rest baut sich selbst zusammen. Einer guckt schnell drüber und sagt: Ja, funktioniert. Schrift drüber. Und Tschüss.
Aus Sicht eines klassischen Kreativen ist es natürlich eine fürchterliche Entwicklung, weil Kreativität als Ramschware zum Kilopreis verkauft wird. Ich persönlich finde es höchst spannend, weil ich als Unternehmer sehe, was wir Kunden alles anbieten können.
Für unsere Kunden geht es um Business Solutions, nicht um Kunst. Wir müssen als Beratung sagen können: Schau mal, wir haben eine Idee, die dir hilft, dein Geschäftsproblem zu lösen. Dafür braucht es funktionierende Teamarbeit mit ganz diversen Teammitgliedern. Kreative Beratende und beratende Kreative, Strateg:innen, Projektmanager:innen, und und und. Die Gewerke und Disziplinen werden immer mehr – und müssen immer enger zusammenarbeiten. Silos sind von gestern. Dies zu managen braucht neue Führungskonzepte – aber auch neue Prozesse und Strukturen.
Und zwar nicht nur auf Agenturseite! Auch bei den Kunden müssen sich die Prozesse entsprechend vereinfachen. Vielleicht reicht ein Vier-Augen-Prinzip statt 13 Händen, durch die ein Produkt wandert. Natürlich müssen auch immer die Juristen und PR-Fachleute ihren Input dazugeben. Aber die Prozesse beim Kunden sollten ähnlich schlank werden, wie in Agenturen.
Wenn das Grundverständnis zu Mut, Relevanz und offener Kommunikation stimmt, dann helfen diese optimierten Prozesse gegen die Verwässerung von Ideen und machen unsere gemeinsame Arbeit am Ende erfolgreicher. Und gemeinsamer Erfolg ist immer eine gute Basis für eine gute Beziehung.
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