von Florian Teipel
Nach 16 Jahren Angela Merkel wird sich nicht nur die Person im Bundeskanzleramt ändern. Mit einer neuen Regierungskoalition wird es auch eine Neugewichtung von Themen sowie Veränderungen im politischen Betrieb geben. Was bedeutet das für die nächsten vier Jahre?
Die großen Themen werden weitergetrieben: Der Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz sowie der Bedeutungsgewinn für die Gesellschaft und Wirtschaft wird die Politik für die nächsten Jahre prägen. Und das nicht nur, wenn die Grünen Teil der Regierung sind. Dazu kommen weitere Themen wie die Digitalisierung, die natürlich auf der Agenda bleibt. Aber auch gesellschaftliche Themen wie Diversity und Inklusion werden eine wichtige Rolle spielen. Und nicht zuletzt die Frage: Wie verändert sich die Arbeitswelt?
Die nächste Bundesregierung wird sich die Frage stellen müssen: Wer zahlt eigentlich das, was an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten aufgrund der Coronapandemie ausgegeben wurde? Die Politik wird sich sehr genau anschauen, welche Branchen gut durch die Krise gekommen sind und welche nicht. Wer sind die Profiteure, wer waren die Verlierer? Diese Entwicklung sieht man sehr gut am Beispiel des Einzelhandels. Auf der einen Seite reden wir über Digitalsteuern im Onlinehandel und auf der anderen Seite über Verödung der Innenstädte. Wie gehen wir damit um? Letzten Winter gab es von Seiten der Union den Vorschlag einer Paketabgabe für den Onlinehandel. Dieses Geld könnte entsprechend umgeschichtet werden, um es zur Steigerung der Attraktivität für die Innenstädte zu nutzen. So schafft man einen „Handelsfinanzausgleich“. Das gilt für viele andere Branchen, die im Umbruch und im Strukturwandel sind, auch losgelöst von Corona. Mit dieser Marktsituation wird sich die nächste Bundesregierung beschäftigen müssen.
Beim Stichwort Digitalisierung müsste der Staat in erster Linie bei sich selbst anfangen. Deutschland hat ein riesiges Digitalisierungsdefizit in der Verwaltung. Der Staat muss in jedem Fall schneller, agiler und digitaler werden. Hier haben Unternehmen und Start-ups viele Chancen diese Entwicklung mit smarten Lösungen zu begleiten. Auch ein Digitalministerium wird auf der Agenda der nächsten Bundesregierung stehen. Doch mit welchen Kompetenzen wird dieses ausgestattet werden? Geht es vor allem um die Digitalisierung von Staat und Verwaltung oder greift es auch in Kompetenzbereiche anderer Ressorts ein? Das hat zudem Einfluss darauf, wie sich Unternehmen letztendlich aufstellen (müssen).
Der Querschnittsbereich Digitalisierung ist groß. Für Unternehmen geht es – wie fast immer – um die Frage, welche Daten in welcher Form für ihre Geschäftsmodelle nutzbar bleiben. Werden Wirtschaftsunternehmen demnächst Daten mit Wettbewerbern teilen müssen und wenn ja, wie soll das organsiert werden? Oder auch: Wie gehen Deutschland und die EU mit der großen geopolitischen Fragestellung um, sich als Digitalstandort gegenüber USA und China zu verteidigen. In diesem Punkt sind sich die Parteien uneins und es wird interessant, wie die nächste Bundesregierung auf Bundes- wie auch auf Europaebene damit umgeht.
Die Zeit der Ankündigungs- und Überbietungswettbewerbe ist vorbei: Aussagen zu Klimaneutralität werden erst dann erst genommen, wenn dahinter konkrete Umsetzungspläne stehen. Für Unternehmen reicht es nicht mehr zu sagen, dass sie Teil der Lösung sind, sondern sie müssen dies mit ihren Maßnahmen auch sehr konkret beweisen. Letztendlich werden die Branchen, Unternehmen und Gechäftsmodelle in den Fokus von Regulierung rücken, die diese Beweisführung nicht mehr antreten können. Eine ‚licence to operate‘ sollte nur erhalten, wer sich im Bereich Klima- und Umweltschutz ständig weiterentwickelt und wirklich Dinge umsetzt.
Hierfür gibt das Klimaschutzgesetz die Richtung vor: Dies hat die derzeitige Bundesregierung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch mit einem konkreten Umsetzungspfad verschärft. Es geht vor allem darum, welche Einsparpotenziale an CO2, Klimagasen sowie andere Reduktionsziele bestimmte Branchen erreichen müssen und bis wann. Bereiche wie Mobilität, Landwirtschaft, Gebäude-Sektor stehen hier im Fokus, da das Potenzial für Einsparungen am größten ist.
In der aktuellen politischen Debatte werden auch die gesellschaftlich getriebenen Themen wie Diversität und Inklusion eine immer wichtigere Rolle spielen. Unternehmen können es sich schlichtweg nicht leisten diese Themen zu ignorieren oder keine Haltung dazu zu haben. Aus vielen Gründen: Glaubwürdigkeit, Reputation, sowohl politisch als auch gesellschaftlich.
Doch ein schnelles Lippenbekenntnis oder das Logo mal eben in Regenbogenfarbe zu tünchen, reicht nicht aus. Das ist keine Haltung, die etwas verändert. Gerade internationale Unternehmen oder welche, die international agieren wollen, die Fachkräfte suchen, die attraktiv sein wollen für junge Menschen, die müssen Inklusion und Diversität leben und sich wirklich damit auseinandersetzen.
Zurück zur Politik: Unternehmen, die ernsthaft langfristige Beziehungen mit der Politik eingehen wollen, müssen diese Themen ernster nehmen. Die Frage nach Diversität und Inklusion wird in Unternehmen nicht nur von Gleichstellungsbeauftragten gestellt. Das sind auch Themen, die Politiker:innen relevant finden. Schauen wir uns an, was im Familienministerium in der letzten Legislaturperiode auch an Regulierungen entstanden ist, wie z.B. das Zweite Führunspositionengesetz. Damit wird ganz klar, dass es auf der politischen Agenda relativ weit oben ist. Sicherlich noch kein Topthema, aber das könnte es sein, je nachdem welche politische Konstellation es nach der Bundestagswahl geben wird.
Und was bedeutet das nun alles für die Public Affairs Arbeit? Ein wichtiger Faktor ist, dass die Teilhabe an Interessenvertretung nur gelingen kann, wenn Unternehmen, aber auch NGOs sehr konkrete, messbare sowie nachprüfbare Ziele und Maßnahmen verfolgen. So lässt sich transparent und datenbasiert kommunizieren und in der Public Affairs Beratung besser erklären, warum Dinge passieren und wie gehandelt werden sollte.
Das beugt auch hoffentlich Dingen vor, die wir während der Pandemie erlebt haben: Massiver Missbrauch insbesondere von Politiker:innen, aber auch von Unternehmen, die bis an die Grenze von Korruption gingen. Dabei gibt es viel Graubereich – ist das rechtens oder nicht. Legal, sicherlich nicht legitim, was da passiert ist!
Und das hat natürlich auch Einfluss auf das Verständnis von Public Affairs. Mit ein Grund, dass wir jetzt ein Lobbyregister haben. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Interessenvertretung gehört zu einer pluralistischen und freien Gesellschaft mit dazu. Entsprechende Transparenz kann helfen dieses Berufsbild ein bisschen zu entdämonisieren und verständlicher zu machen.
Raus aus dem Lockdown, rein in eine neue Legislaturperiode: Ich freue mich auf eine neue Bundesregierung, auf das Gefühl, dass sich etwas verändern wird und wir dann mit etwas Neuem starten. Die letzten Jahre – und da hat die Pandemie viel mit zu tun – fühlten sich etwas lähmend an, wie mit angezogener Handbremse. Und das, obwohl wir alle in der Branche eine stressige Zeit hatten. Den mentalen Lockdown endlich lösen und sich nicht mehr selbst beschränken, in Dingen, die man tut. Mit einer neuen Bundesregierung haben wir die Chance da rauszukommen und wieder unserer Arbeit richtig gut nachzugehen.
Florian Teipel ist Senior Director bei der politisch-strategischen Kommunikationsberatung 365 Sherpas. Dort berät er Institutionen und Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen in der Public Affairs Arbeit.
Dieser Beitrag ist zuerst auf politik-kommunikation.de erschienen.
Ausführlich spricht Florian Teipel im HINTERGRUND-Podcast mit Sonja Schaub zur Veränderung von Public Affairs Arbeit.
Beitrag Teilen: