Der Koalitionsvertrag enthält nur sieben Seiten zum zentralen Themenbereich Gesundheit und Pflege. Gesundheit stellt jedoch – ähnlich wie Digitalisierung – einen Querschnittsbereich dar und reicht in sehr viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche hinein. Daher sind Vorhaben im Sinne einer guten und erreichbaren Gesundheitsversorgung auf vielen weiteren Seiten enthalten.
Die Pandemie hat an vielen Stellen offengelegt, wo das Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt. Es wird die Frage zu beantworten sein, wie die Digitalisierung hier Abhilfe schaffen kann, zum Beispiel durch die elektronische Patientenakte, das E-Rezept oder die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen.
Die Ampel-Koalition wird daran gemessen werden, wie erfolgreich sie die Pandemie bekämpft. Neben Klima und Verkehr ist das Gesundheitsressort wohl aktuell das Amt mit den größten gesellschaftlichen Herausforderungen. Dass die SPD sich Zeit nimmt, dieses wichtige Amt zu besetzen, wurde öffentlich schon kritisiert. Der von der Ampel angekündigte Krisenstab muss verschiedene Kompetenzen zusammenbringen. Ein neuer Vorschlag von Olaf Scholz ist zum Beispiel, Unterstützung der Bundeswehr nach italienischem Vorbild hinzuzuziehen. Im Vergleich mit anderen Ländern zeigt sich auch, dass die Polarisierung in der Gesellschaft in Deutschland eine nicht unwesentliche Hürde im Kampf gegen das Virus darstellt. Das Impfen ist für die einen Hoffnung, Schutz und der Weg zurück zur Normalität, für andere ein rotes Tuch aus Überzeugung, prinzipiellem Widerspruch, Vorsicht oder fehlender medizinischer Aufklärung.
Die Koalitionäre wollen die Stellung der Patient:innen stärken, zum Beispiel bei der neudefinierten Rolle im gemeinsamen Bundesausschuss, in Bezug auf die Haftung für Behandlungsfehler und hinsichtlich der Versorgung im ländlichen Raum.
Akteure aus Pflege- und anderen Gesundheitsberufen sollen an den Entscheidungen über den bundesweiten Behandlungskatalog im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beteiligt werden, „sobald sie betroffen sind“. Kassenpatient:innen wird mehr Mitsprache dabei eingeräumt, welche Leistungen die gesetzlichen Versicherer zu bezahlen haben. Sie durften bislang mitberaten, hatten aber kein Stimmrecht. Bislang bestimmen über den Leistungskatalog allein die Vertreter.innen von Kassen, niedergelassenen Ärzt:innen und Krankenhäusern.
Grundlegend reformiert wird dem Koalitionsvertrag zufolge auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Sie soll in ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium überführt werden. Dort sollen „Aktivitäten im Public-Health Bereich, die Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und die Gesundheitskommunikation“ angesiedelt werden. Das Robert Koch-Institut soll in seiner wissenschaftlichen Arbeit weisungsungebunden sein – so wie bisher.
Was bedeuten die geplanten Änderungen?
Es ist ein Aufbruch für eine faire Pflegepolitik zu erkennen. Schnell und spürbar sollen sich die Arbeitsbedingungen für das immens belastete und deshalb auch immer rarer werdende Pflegepersonal verbessern. Nach Plänen der Ampel wird es in den Kliniken und Pflegeheimen eine verbindliche Personalbemessung geben. Die Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege soll geschlossen werden. Der Pflegeberuf soll durch die Bezahlung von steuerfreien Zuschlägen, die Abschaffung von geteilten Diensten und den Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten an Attraktivität gewinnen.
Der Vertrag enthält eine deutliche Stärkung von Patient:innenrechten sowie die Ankündigung eines nationalen Präventionsplans, der zu besserer Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung aller beitragen soll. Die Ampel-Koalitionäre wollen die Potenziale der Digitalisierung nutzen, um eine bessere Versorgungsqualität zu erreichen, aber auch um Effizienzpotenziale zu heben. Im Gesundheitswesen soll Digitalisierung zum Standard werden, die DSGVO-konforme elektronische Patientenakte sollen Bürger:innen aktiv per Opt-Out ablehnen müssen. Bis hin zur „telenotärztlichen Versorgung“ sollen künftig alle medizinischen Leistungen auch digital erbracht werden können – wie diese Vorhaben europaweit kompatibel sein sollen, verraten die Koalitionäre zumindest nicht im Vertragstext noch nicht. Die Finanzierung der geplanten Vorhaben wird ebenfalls noch nicht erläutert.
Die ersten Lehren aus der Pandemie, die uns die Verletzlichkeit unseres Gesundheitswesens vor Augen geführt hat, werden gezogen zum Beispiel mit dem Krisenstab der Bundesregierung und dem interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Pandemierat. Auffallend ist, dass es im Koalitionsvertrag keine expliziten Vorschläge gibt, wie die Impfquote erhöht und die Pandemie kurz- bis mittelfristig bekämpft werden kann. Hintergrund könnte sein, dass der Vertrag sich hier aufgrund der oft kurzfristigen Entwicklungen nicht festlegen will. Die Maßnahmen werden in den Krisenstab und in das neue Gesundheitsministerium verlagert.
Der neue Koalitionsvertrag enthält wichtige Ansätze und Stellschrauben insbesondere für den Bereich der Pflege und der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Aber auch Bereiche wie Gendermedizin und psychische Erkrankungen werden genannt und stellen Felder dar, die am Anfang stehen und noch viel Aufklärung und Aufmerksamkeit erfordern. Wie die Vorhaben im Gesundheitswesen durch die Koalitionäre umgesetzt werden, wird ein zentraler Gradmesser innerhalb der neuen Legislatur sein.
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