von Anja Schüling und Henning Schröder
Die letzten Jahre und insbesondere die vergangenen 15 Monate haben deutlich gezeigt: die Sinnsucht, die Sehnsucht der Menschen nach Sinn, im Leben und im Konsum, spielt eine große Rolle. Sie wollen sich mit Marken umgeben, bei denen sie das Gefühl haben, dass diese zur Verbesserung der Welt beitragen. Zwei Entwicklungen wirken hier als Beschleuniger:
Zum einen werden die Nachhaltigkeitsherausforderungen für unsere Wirtschaft und Gesellschaft quasi täglich immer drängender, das Finden von Lösungen und eines eigenen Beitrags dazu für Marken und Unternehmen immer relevanter. Der Druck kommt aus der Gesellschaft, von jungen Mitarbeitenden, die in sinnstiftenden Unternehmen arbeiten möchten.
Zum anderen stehen wir, zumindest in unserer westlichen Gesellschaft, vor einem sehr gesättigten Markt. Produkte werden immer austauschbarer. Marken haben jetzt die Riesenchance, mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und sich darüber zu differenzieren. Früher haben Menschen dies nur von der Politik erwartet. Heute erwarten sie es zunehmend von Marken und Unternehmen.
Und genau hier setzt der Purpose an. Denn der ist nichts anderes als die Antwort auf die Frage: „Warum machen wir das Ganze?“. Der Purpose berührt die kantischen Fragen nach dem guten Leben und hat etwas Normatives.
Entsprechend haben Sinn- bzw. Purpose-Marekting aktuell Hochkonjunktur: Die Zeit ist gekommen, dass wir das Thema, welches weithin als Buzzwordthema verschrien ist, ernst nehmen. Denn es würde uns allen helfen, wenn es mehr Marken gäbe, die ihren Zweck ernster nehmen als sie es vielleicht in der Vergangenheit getan haben. Und ihr Handeln entsprechend überprüfen und anpassen.
Damit verändern sich auch die Regeln des Marketings. Bisher bestand die Benefit Ladder aus drei Stufen:
Diese Benefits sind auf das individuelle Ich bezogen. Wenn wir jedoch über den Sinn sprechen, berühren wir eine neue Dimension: das Gesellschaftliche, das Sozietäre. Marken bieten den Konsumierenden nicht mehr nur Vorteile in Bezug auf ihre subjektive Situation, sondern auch einen überindividuellen Mehrwert – den sozietären Benefit. Eine Marke gibt der Gesellschaft einen Nutzen – das Wir betreffend. Diese Erweiterung der Benefit Ladder ist aus unserer Sicht im Marketing sehr hilfreich, um das eine von anderen besser zu trennen.
Zentral ist dabei: Die Frage nach dem Purpose muss intrinsisch aus dem Unternehmen selbst heraus beantwortet werden. Der Purpose muss gefunden und nicht erfunden werden! Er ist eine Verpflichtung nach innen und außen, hinter dem sich die Menschen versammeln können. Nur so entwickelt er eine Glaubwürdigkeit.
Intern verpflichtet sich das Unternehmen gegenüber seinen Mitarbeitenden bestimmte Ziele zu verfolgen. Und die muss es dann auch möglichst realisieren, was z.T. sehr aufwendig sein kann, da man die gesamte Wertschöpfungskette hinterfragen muss, wenn man es wirklich ernst meint. Auf der anderen Seite ist der Purpose eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, sich anders am Markt zu verhalten, ein Versprechen an die Konsumierenden, andere Ziele zu verfolgen.
All das bedeutet: Einen Purpose kann man seiner Marke oder seinem Unternehmen nicht einfach mal schnell überstülpen. Er muss etabliert, geschärft und vor allem gelebt werden. Je tiefer er im Kern des Unternehmens angelegt ist, desto erfolgreicher kann man ihn umsetzen.
Wie kann ein klarer Purpose im Unternehmen die Nachhaltigkeitsbemühungen stärken? Oft ist Nachhaltigkeit alleine zunächst nur ein Projekt oder Thema neben vielen anderen. Etwas, das von außen durch Gesetze oder Erwartungen an das Unternehmen, an die Marke herangetragen wird. Im schlimmsten Fall verkümmert er einfach in einem Markenmodell oder bleibt in einer Nachhaltigkeits-Abteilung als Add-on-Thema lleine liegen. So wird Nachhaltigkeitsdenken nie sein volles Potenzial entfalten können und echten Impact im unternehmerischen Handeln entfalten.
Wenn sich nachhaltiges Denken und Handeln jedoch aus dem Purpose, aus dem zentralen Sinn des Unternehmens heraus begründen lässt, bekommt es eine echte Dringlichkeit für das gesamte Unternehmen. Es wird zum Kernanliegen und gibt den Unternehmensaktivitäten einen höheren Sinn. Im Idealfall bemüht sich jede:r Mitarbeitende, im täglichen Handeln nachhaltiger zu werden. Ein solcher Purpose ist ein Turbo für Nachhaltigkeit, wie ein Brandbeschleuniger, der das Feuer anfacht.
Doch so ein Purpose, um noch einmal auf die Benefit Ladder zurückzukommen, kann immer nur dann funktionieren, wenn auch die unteren Stufen funktionieren. Als Beispiel: Ein Orangensaft muss vor allem lecker schmecken – funktionaler Benefit. Darauf folgt der emotionale Benefit. Dieser vermittelt den Konsumierenden z.B. das Gefühl etwas Exotisches zu erleben. Erst wenn mindestens der funktionale Benefit erfüllt ist, kann auch ein Purpose wirken. Wenn eine Orangensaft-Marke zwar einen begehrlichen Purpose hat wie Förderung der Artenvielfalt in Brasilien, dieser jedoch keinem schmeckt, wird sich das Produkt auch schwer verkaufen lassen.
Je nach Ursprung und Historie lassen sich Marken in product-born oder purpose-born unterscheiden. Zu den purpose-born Brands gehören viele jungen Marken wie Einhorn, Viva con Agua, Lemonaid oder auch Tesla. Sie sind aus starken Nachhaltigkeits- und Purposezielen entstanden. Viele ältere, traditionellere Marken zählen eher zu den product-born Brands, die den funktionalen oder emotionalen Vorteil des Produkts in den Vordergrund stellen. Aktuell lässt sich gut beobachten wie sich beide aus ihrer Richtung – idealtypisch gesprochen – auf die Mitte zu bewegen.
Einerseits erkennen die purpose-born Brands, dass „Gutes tun und die Welt retten“ allein häufig keinen langfristigen wirtschaftlichen Erfolg bringt – dazu braucht es vor allem ein perfektes Produkt, eine größere Verbreitung, eine starke Position im Handel, einen wettbewerbsfähigen Preis etc. Andererseits stellen die product-born Brands fest, dass der wiederholte Produktrelaunch mit einem vermeintlich besseren Ingredient oder einer etwas stylischeren Verpackung die Menschen nicht mehr so leicht zu mehr Käufen inspirieren kann.
Ein gutes Beispiel für die Transformation einer Marke hin zu mehr Purpose ist die DKB: Die Bank steht seit ihrer Gründung für gutes Banking, geht verantwortungsvoll mit den Einlagen der Kund:innen um und ist einer der größten Finanzierer der Energiewende. In den vergangenen 30 Jahren hat die DKB das Richtige gemacht. Aber viel zu wenig oder gar nicht darüber gesprochen. Diese Geschichte wird jetzt unter dem #Geldverbesserer nach außen getragen. Das erzeugt große Bindungskraft nach innen und außen.
Einen Purpose zu realisieren, ist eine sehr herausfordernde Angelegenheit. Sie erfordert Mut, Durchhaltevermögen und birgt auch Fehlerpotential. Es erfordert Geduld und die Bereitschaft, auch kleine Schritte anzuerkennen, denn solch große Veränderungen geschehen nicht über Nacht.
Die Erwartungen von Konsumierenden und der Gesellschaft insgesamt anzunehmen, sie ernst zu nehmen und die eigenen Antworten darauf überzeugend voranzutreiben, darin liegt die große Chance für Unternehmen – sowohl für junge Purposebrands, als auch für traditionsreiche Konzerne. Schafft man das, hat man als Marke einen Schatz aufgebaut, aus dem man immer wieder neu schöpfen und bestehende wie neue Zielgruppen für sich begeistern kann.
Anja Schüling ist Leitung Strategie der Agentur Freunde des Hauses und beschäftigt sich in diesem Kontext mit Trends und Megatrends. Für sie verschmelzen Purpose und Nachhaltigkeit zu einem großen Zukunftsthema, das demnächst auch in der Unternehmens- und Markenführung nicht mehr wegzudenken ist.
Henning Schröder ist Senior Stratege bei Freunde des Hauses. Für den studierten Philosophen ist die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage in jeglicher Hinsicht spannend, sowohl persönlich als auch im Marketing.
Dieser Beitrag ist zuerst auf horizont.net erschienen.
Ausführlich sprechen Anja Schüling und Henning Schröder im HINTERGRUND-Podcast mit Sonja Schaub über Purpose als Turbo für Nachhaltigkeit.
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